Vom Potential das TikTok für die Bildung hat - und warum es dennoch nie ausgeschöpft werden wird

Die Funktionsweise von TikTok ist spannend und neu. Jedes Video, das man sieht ist entweder 15 oder 60 Sekunden lang, meist mit viraler Musik unterlegt und hat in fast allen Fällen das alleinige Ziel den Zuschauer zu unterhalten. Und in vielen der Videos steckt eine Menge Kreativität. Bis hierhin ein angenehmer Zeitvertreib. Und einer der süchtig machen kann. Jeder der TikTok ausprobiert hat kennt das Phänomen. „Ach komm, nur noch zwei/drei Videos“. Ein paar witzige Tänze, Sketche aus Fernsehshows und witzige Alltagssituationen später und schon sind wieder zwei Stunden weg – ein selbstverständlicher Reflex unseres Gehirns. Die Videos wecken positive Gefühle, da wir durch sie unterhalten werden, also wollen wir noch eines schauen und noch eines und noch eines. Und da jedes für sich genommen so kurz ist, merken wir auch gar nicht, wie die Zeit vergeht.

Von der Grundidee ist TikTok damit aber nicht anders als Netflix, Facebook, Instagram und co. Alle Plattformen wollen uns möglichst lange an sich binden, da sie so am meisten an uns verdienen können. TikTok hat dafür nur einen neuen Ansatz gefunden. Das soll übrigens nicht als Kritik an diesen Plattformen gelesen werden, das ist schlicht und ergreifend der Daseinszweck eines jeden (kommerziellen) Unternehmens. Uns sollte dieser Umstand lediglich bewusst sein, wenn wir sie nutzen. Falls ihr einen größeren Überblick bekommen möchte, dem kann ich die Netflix-Doku „Social Dilemma“ ans Herz legen – aber ignoriert die überflüssige Nebengeschichte, die in die an sich gut gemachte Doku eingebaut wurde. Doch zurück zu TikTok. In diesem Artikel soll es weder um die Gefahren des Sucht-Potentials, datenschutzrechtliche Probleme der App oder gefährliche Mutproben gehen, die sich dort bereits abgespielt haben. Darüber gibt es im Netz an anderer Stelle bereits genug zu finden. Stattdessen möchte ich auf das Potential eingehen, dass TikTok für die Bildung bietet und warum ich dennoch glaube, dass es annähernd unmöglich ist, dass dieses flächendeckend bei unseren Lernenden ankommt.

Meine ersten Selbstexperimente mit TikTok liefen ziemlich genau so ab, wie im ersten Abschnitt beschrieben. Ich testete die App um zu sehen, was hinter dem Hype steckt. Und auch ich habe an manchen Tagen definitiv zu lange auf das Smartphone geschaut, weil ich nur noch ein lustiges Video schauen wollte. Doch neben puren Entertainment-Kanälen habe ich auch Menschen abonniert, die spannende, kreative Ideen zum Zeichnen zeigten, Tipps in Bild- und Videobearbeitungsprogrammen, Kanäle für Allgemeinwissen und für Mathematik.

Und jetzt wurde es spannend: Ich likte ein Video nach dem anderen, dass ich nachmachen wollte. Geniale Effekte auf Fotos, Tipps beim Zeichnen und tolle Rezepte (googelt mal den Feta-Spaghetti-Trend, sehr zu empfehlen ;-). Der Punkt an dem ich jetzt angekommen war zeigte das Potential: Ich konnte in kürzester Zeit um ein vielfaches mehr an interessanten Ideen sammeln als auf YouTube, Instagram oder sonst wo. Die Menschen von denen ich lernte und noch lerne haben nämlich gar nicht die Zeit ewig lange Intros zu schneiden und noch 7328 andere Kanäle und Videos zu empfehlen. Ich entscheide innerhalb von maximal 60 Sekunden, ob mir der Content meine Zeit wert ist, oder eben nicht. Im Gegensatz zu anderen Plattformen war das Problem nicht mehr den interessanten Inhalt zu finden, sondern eher aus den Hunderten interessanten Inhalten auszuwählen, welche ich nachmachen oder lernen möchte.

Wer also nur die Nutzer abonniert, die gutes Material für die eigenen Bildungsbedürfnisse kreieren, der kann ganz viel durch TikTok mitnehmen. Und nur mal zur Anregung ein paar Themen die dies sein können:

    • Allgemeinbildung
    • Geschichte
    • Naturwissenschaften
    • Origami falten
    • Rezepte
    • Gesunde Ernährung
    • Photographie
    • Zaubertricks

Und falls euch die Datenschutzproblematik nicht abhält (informiert euch zuvor darüber) kann ich nur raten: versucht es aus und sucht euch bewusst die Themen, die euch interessieren. Ihr werdet schnell positiv überrascht sein.

Nun aber zum Problem. Auch für unsere Schüler wäre es natürlich genial, wenn sie eh schon Stunden auf der Plattform verbringen immer Mal wieder ein Video zum chinesischen Kaiserreich, Mathematischen Tricks oder dem deutschen Wahlsystem zu sehen. Aber neben den ganzen lustigen Videos der Influencer werden diese natürlich immer nur eine Nebenrolle einnehmen können, denn es ist doch viel spannender sich mit seinen Freunden über lustig produzierte Musikvideos, als über Unterrichtsinhalte zu unterhalten. Sicher können wir es in der Schule thematisieren (und natürlich auf die Datenschutzproblematik eingehen). Vielleicht können wir auch den ein oder anderen, der die Plattform sowieso schon nutzt, dazu bringen sinnvolle Kanäle zu abonnieren. Doch die Frage bleibt, ob unsere Schüler sich dann tatsächlich 60 Sekunden Geschichte anschauen, wo das nächste lustige Musikvideo doch möglicherweise nur einen Wisch entfernt ist. Wir dürfen dabei nicht vergessen, dass unsere Schüler die App normalerweise genau dann nutzen, wenn sie entertaint werden wollen. Und dann sind mathematische Formeln und alte Burgen eher hinderlich…

Ebenfalls großes Potential liegt natürlich in der Theorie im Erstellen solcher Videos, schon alleine durch die enormen kreativen Inhalte, die so produziert werden können. Beispielsweise könnten viele Kompetenzen der digitalen Welt gefördert werden, wenn wir uns eine AG vorstellen, die Videos für einen Account der Schule oder Ähnliches produziert. Doch dieser Teil bleibt wirklich reine Theorie, da die DSGVO damit nicht in Einklang zu bringen ist – zumindest in keinem mir bisher bekannten Projekt.

Und was ist nun das Fazit? Wer TikTok als passiver Nutzer sinnvoll nutzen möchte, sollte seine abonnierten Kanäle sehr bedacht auswählen. Dann kann der Nutzen der App tatsächlich groß sein. Und vielleicht können wir auch den ein oder anderen Nutzer überzeugen sich einige der oben aufgeführten Kanal-Arten zu abonnieren und damit hin und wieder etwas über das Mittelalter oder die Wahl des Bundestages zu Lernen. Auch wenn es vermutlich nicht den ganz großen Effekt haben wird, so zeigen uns die letzten Jahre doch, dass mehr Allgemeinbildung mehr als nötig ist und jeder noch so kleine Schritt in diese Richtung ein guter Schritt ist.

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„Der Mensch hat vergessen wie wichtig es ist zu Lernen. Es wird als eine Belastung, eine Pflicht im Jugendalter gesehen. Doch niemals sollten wir damit aufhören. Niemals.“